Die Krisen mit christlichen Werten meistern

Porträt im Tagesanzeiger - Der neue EVP-Nationalrat ist in einem freikirchlichen Umfeld aufgewachsen. Spiritualität könne die Menschen einen, sagt er.
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«Ich habe keine Angst vor schwierigen Themen», sagt Marc Jost. Dass er vor sensiblen Debatten – sogar in der eigenen Familie – nicht zurückschreckt, zeigte sich vor zwei Jahren. Der EVP-Politiker bekämpfte damals die Ehe für alle, obwohl sein Vater homosexuell ist. Die Medienauftritte hätten ihre Beziehung herausgefordert, räumt der 48-Jährige ein. Dank der respektvollen Gespräche sei sie jedoch gewachsen. Marc Jost bereut es jedenfalls nicht, dass er sich vor einer breiteren Öffentlichkeit derart exponiert hat. «Es ging mir um die Schwächsten», betont er. «Um die Kinder, die ein Recht auf ihre Mutter und ihren Vater haben sollen.»

Ab der Wintersession wird der Thuner seine Ansichten unter der Bundeshauskuppel vertreten. Er rückt für Marianne Streiff nach, welche den Nationalrat nach 12 Jahren vorzeitig verlässt.

Aufenthalt in Kolumbien hat ihn geprägt

Marc Jost ist in einem freikirchlichen Milieu aufgewachsen. Seine Eltern, beide Lehrer, engagierten sich in der pietistischen Bewegung Evangelisches Gemeinschaftswerk. Den drei Kindern gaben sie ihren Glauben weiter. «Die Bereitschaft, der Gesellschaft dienen zu wollen, ist bei mir früh geweckt worden», sagt Jost. Schon in jungen Jahren verspürte er den Wunsch, Pfarrer zu werden. Auf Anraten seines Pastors absolvierte er jedoch erst das Lehrerseminar in Spiez. Nach drei Jahren im Klassenzimmer schlug er schliesslich eine theologische Laufbahn ein. Zusammen mit seiner Frau verbrachte er 2002 ein Jahr lang in Kolumbien. «Wir sind mit Gewalt, Armut und Korruption konfrontiert worden», erzählt er. Der Aufenthalt habe ihm globale Zusammenhänge bewusst gemacht und ihn fürs Leben geprägt. Er habe ihn politisiert.

Zurück in der Schweiz, begann er für Heiner Studer zu arbeiten, der damals für die EVP im Nationalrat sass. Als persönlicher Assistent erlebte er den nationalen Politikbetrieb hautnah mit. Später übernahm er selbst ein Amt. Er war 14 Jahre lang im Grossen Rat des Kantons Bern, wo er unzählige Richterwahlen begleitete, sich in Sicherheitsfragen engagierte und 2015/2016 das Präsidium innehatte. «Ich kann gut leiten, moderieren und Menschen miteinander verbinden», sagt Marc Jost. Ebenso wichtig sei es ihm, seinem Gegenüber zuzuhören. Beruflich hat er sich für Hilfswerke und in den letzten zehn Jahren bei der Schweizerischen Evangelischen Allianz engagiert. Die Stelle des Generalsekretärs wird er abgeben, bevor er am 28. November als Nationalrat vereidigt wird. Als Beauftragter für «Public Affairs» wird er der SEA, in der rund 480 christliche Gemeinden zusammengeschlossen sind, aber erhalten bleiben.

Lebendige Diskussionen mit den Kindern

Politische Gegner schätzen seine besonnene Art. Jost sei gradlinig und verlässlich, berichten Weggefährten. Er vertrete seine Meinung klar, bleibe aber immer sachlich. Seinen biblischen Grundsätzen bleibe er treu, selbst wenn sie dem Zeitgeist widersprechen würden. Marc Jost möchte ihnen mehr Gehör verschaffen. «Wir müssen wieder lernen, über den Glauben und Religion zu sprechen», sagt er. «Gerade in Krisen» sei Spiritualität als positive Kraft zu nutzen, um die Gesellschaft in ihren gemeinsamen Werten zu stärken.
Dazu zählt für den EVP-Politiker neben Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Solidarität auch der Klimaschutz. Wer die Schöpfung bewahren wolle, müsse mit den begrenzten Ressourcen haushälterisch umgehen. «Wir haben eine Solaranlage auf dem Dach und kaufen bewusst ein», sagt der Familienvater, der in seiner Freizeit Volleyball spielt und gerne wandern geht. Mit seinen vier Kindern diskutiert er aktuelle Themen am Esstisch. «Es sind lebendige Debatten», berichtet er. «Wir sind uns nicht immer einig.»